Wie immer, wenn man mich zu Wort kommen lässt, geht es um das Thema Schmerz und alles, was damit zusammenhängt. So auch bei dem Vortrag, den ich im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe: Was Sie schon immer wissen wollten über…. vor Kurzem im Rückenzentrum Am Michel gehalten habe. Darin habe ich mir erlaubt, die fast wahre Geschichte von Ritter Georg zu erzählen und erlaube mir, diese hier in Kurzform noch einmal zu wiederholen.
Das Thema Schmerz ist relevant …
… man könnte sagen von größter Relevanz; denn mindestens 50% der deutschen Gesellschaft hatte im vergangenen Jahr (von der Lippe et al. 2021) Rückenschmerzen, und
- etwas über 15% leiden an anhaltenden Schmerzen
- mindestens 80% aller Menschen erleben einen Rückenschmerz im Leben
- Frauen sind häufiger betroffen als Männer
- viele beschreiben Schmerzen in verschiedenen Bereichen des Körpers
- die Rückenschmerzen ziehen sich durch alle Altersklassen (von 20 bis 80)
- im Rest der Welt sieht es nicht besser aus!
Wie kann das sein?
Es gibt viel Forschung zu diesem Thema und die Wissenschaft hat durchaus zahlreiche fundierte Antworten – aber hier soll es nun um das Thema Schmerzen verstehen gehen und warum genau dieser Punkt eine besondere Rolle spielt!
Deshalb noch einmal zu meiner – ganz persönlichen – Titelversion der Veranstaltung:
Was Sie schon immer wissen sollten über…
Die Gemeinschaft der Schmerzforscher ist sich einig – wenn die Bevölkerung mehr zum Thema Schmerz wissen würde, dann könnte Leid reduziert, Kosten gespart und die Welt zu einem besseren Ort gemacht werden! Aber diese Information zu transportieren, scheint herausfordernder zu sein, als den heiligen Gral oder die berühmte Büchse zu finden – geschweige denn zu öffnen! Dies wurde brandaktuell erneut publiziert (Cormac R at al. 2023); zudem postulieren die Autor:Innen, dass es Zeit wird, eine öffentlichkeitswirksame, massive Kampagne zu starten, die alles, was es zum Thema Schmerz zu wissen gibt, an die Bevölkerung vermittelt: Als Hinweis auf den Babybreiflaschen, Zettel in der Schulbrotdose, bei Festivals, Schützenfesten und überall woanders auch – we are all in this together.
Schmerz in der Gesellschaft kann weniger werden – es ist eine Frage der Information UND des daraus resultierenden Umgangs mit einer Schmerzerfahrung. Also – zum Thema.
Achtung: Wenn Sie jetzt weiterlesen, kann es sein, dass Sie mehr zum Thema Schmerz wissen als viele derer, die Sie in den letzten Jahren mit der Frage: „Was kann ich gegen meine Schmerzen tun?“, konsultiert haben.
Wie kann es sein, dass es einen Phantomschmerz gibt?
Sollten Sie das Wort noch nie gehört haben – Phantomschmerz ist dort, wo es keinen Körper mehr gibt, z.B. an einem amputierten Arm oder Bein. Viele der Betroffenen haben in diesen fehlenden Gliedmaßen außergewöhnliche Schmerzen (Limakatso K et al. 2024)!
Richtig: Das Gehirn entscheidet, diesen Schmerz zu produzieren – zu 100%.
Merken Sie sich bitte:
Schmerz kann da entstehen, wo es keinen Körper mehr gibt!
Bei heftigen Unfällen u.a. Kriegsverletzungen, Haiangriffen, Verbrennungen, empfinden die Betroffenen – Sie ahnen es schon – keine Schmerzen! Zumindest nicht in dem Moment der Verletzung – im Verlauf sollte es dann weh tun, damit sich die betroffene Person schmerzangemessen verhalten kann und sich kümmert, u.a. eine Ärztin aufsucht, um Hilfe schreit, flieht …
Das Phänomen, dass es im ersten Moment nicht weh tut, nennt sich Stressanalgesie und bedeutet, wenn wir von jetzt auf gleich in eine stressige, lebensbedrohliche Situation kommen, dann kann das Gehirn (100%) entscheiden, Neurotransmitter und Hormone freizulassen, die verhindern, dass wir Schmerzen empfinden.
Zusammengefasst: Phantomschmerzen sind Schmerzen in einem Bereich der nicht da ist und außergewöhnliche/ extreme Verletzungen können schmerzfrei sein.
Ich möchte nun auf den Punkt kommen:
Schmerz ist immer (100%) eine Entscheidung des Gehirns.
Das ist nicht leicht zu glauben, wenn einem gerade der Zehennagel ins Nagelbett wächst und „weh tut wie s…“ – aber auch hier produziert das Gehirn das unangenehme Sinnesgefühl Schmerz. Was wenn wir die Situation am Zeh nicht spüren würden? Das könnte böse enden z.B. durch den Eintritt von Bakterien, die dann eine Blutvergiftung auslösen. Also – zum Glück tut es weh!
Wenn Schmerz entsteht, dann macht dieser Sinn und motiviert uns, uns zu kümmern. Die schmerzhafte Region tritt ins Bewusstsein und wir machen alles, damit es dort wieder aufhört zu schmerzen. Dafür kann Schonung, eine Spritze, ein Pflaster, eine Dehnung, eine Bewegung oder was auch immer sinnvoll sein. Hier sprechen wir von akutem Schmerz – dieser schützt uns und rettet im Zweifel Leben.
Wenn ein Schmerz bleibt, und das passiert beeindruckend häufig (Ca. 50% aller Patient:Innen, die das erste Mal Rückenschmerz haben, haben diesen dann auch noch nach 1 Jahr), dann sprechen wir von einem chronischen Schmerz. Dieser ist dann komplizierter als ein akuter Schmerz. Doch auch hier gibt es Behandlungsmaßnahmen, die alle Kriterien für eine bestmögliche Versorgung beinhalten u.a. bietet das Rückenzentrum Am Michel die Interdisziplinäre, Multimodale Schmerztherapie (IMST) an. Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, an chronischen Schmerzen leiden, dann merken Sie sich diesen Begriff und fragen Sie bei Ihrer gesetzlichen Krankenkasse nach, wo Sie eine IMST bekommen können.
Mit Spannung erwarten Sie die Geschichte von Ritter Georg.
Er war ein wahrer Superstar des Mittelalters und dafür berühmt, dass er Kraft hatte, es mit mehreren Drachen gleichzeitig aufzunehmen und mit Hilfe seiner Stärke ganze Dorfgemeinschaften vor dem sicheren Tod retten konnte! Der Chuck Norris seiner Zeit! Doch – und das wissen nur wenige: Er hatte Rückenschmerzen und zwar heftig. Warum auch nicht, denn immerhin werden mehr als 80% aller Menschen in Ihrem Leben Rückenschmerzen erleiden. Also natürlich auch Georg. Er informiert sich und tat alles um wieder „auf seinen Gaul“ zu kommen – es wollte aber nicht so richtig gelingen. Immer wieder, wenn er auf´s Pferd stieg oder seine Rüstung anzog, ging es im Rücken wieder los – irgendwann hörte er auf, diese Dinge zu tun und zog sich zurück.
Dieser Kontrollverlust belastete ihn und machte ihn traurig. Er spürte, dass er dünnhäutiger wurde und war genervt. Alle Empfehlungen halfen nichts – eigentlich machten sie das Problem noch schlimmer.
- Deine Rüstung war stets zu schwer
- Du hast viele Lebewesen zur Strecke gebracht – der Schmerz ist nun Deine Bürde
- Das Gehoppel auf dem Pferd hat Deinen Rücken kaputt gemacht
- Es muss wirklich schlimm sein, wenn es nicht aufhört
Ungelogen – Georg hörte 100 solcher Hinweise, doch leider half nichts. Vermeidung brachte nichts, trotzdem weitermachen brachte nichts, Kräuter brachten nichts usw..
Georg brauchte eine clevere, einfache Lösung, die ihn aus dieser ganzen Misere rausholte und das Gute – Sie liebe Leser und Leserinnen können ihm helfen. Zumindest soweit wie das über einen gelesenen Blogbeitrag möglich ist; aber machen Sie mit und unterstützen Sie Georg!
Wir wissen folgendes:
- Schmerz ist sinnvoll und schützt uns!
- Schmerz ist häufig!
- Chronischer Schmerz entsteht bei vielen!
- Schmerz entsteht 100% im Gehirn!
Das Gehirn produziert Schmerz als Schutz und tut dies aus verschiedenen Gründen: u.a., weil im Körper was geschädigt ist (Denken Sie an den Zehennagel) oder weil der Gedanke existiert, dass etwas geschädigt sein könnte (Denken Sie an Georg, der glaubt, dass er etwas Schlimmes hat) oder dass eine bestimmte Bewegung etwas kaputt machen kann. Für Schmerz gibt es viele weitere Ursachen – das Gehirn tut eben alles, um zu gewährleisten, dass alles „in Butter“ ist, wie wir hier in Hamburg zu sagen pflegen.
Darf Georg wieder seine Rüstung anziehen und auf´s Pferd steigen?
Ja klar! Das muss er sogar, damit sein Gehirn lernt, dass Reiten nicht gefährlich ist! Und zudem identifiziert er sich über seine Rolle als Ritter.
Muss Georg akzeptieren, dass seine Schmerzen nie wieder vergehen?
Nein! Chronischer Schmerz ist sehr gut behandelbar – zum einen durch Verständnis von Schmerzentstehung und zum anderen durch schrittweises Wiedererlangen der normalen Aktivität im Alltag.
Ist Georgs Rüstung zu schwer und verantwortlich für seine Rückenschmerzen?
Nein! Wenn überhaupt, dann ist es ein super Trainingsgerät des Mittelalters!
Wenn wir Strukturen im Körper belasten z.B. Knochen oder Bandscheiben – dann werden diese kräftiger und gehen nicht kaputt (wie viele Menschen denken!) – eine kleine Info nebenbei: Joggen macht die Bandscheiben dicker (Mitchell U et al. 2020) und auch andere Dinge, die Bewegung implizieren (und Freude!), sind gesund für unseren Körper.
Wenn Georg gut informiert ist und sein Gehirn lernt, was richtig und falsch ist, geht es ihm bald wieder besser. Wenn er diesen Schritt dann noch mit Bewegung kombiniert und sich sein Leben zurückholt, ist er weniger eingeschränkt und glücklicher!
Und genau deshalb gilt: Schmerzen verstehen macht Sinn!
Und wenn er nicht gestorben ist dann reitet er noch heute!
Die Moral von der Geschichte:
Eine gute Schmerztherapie berücksichtigt alle Faktoren, die zu Schmerz führen können. Freuen Sie sich auf ein gutes Gespräch mit Ihrer Therapeut:In (welcher Disziplin auch immer) und stellen Sie clevere Fragen:
- Was kann ich für mich tun?
- Wie lange wird das dauern?
- Was können Sie für mich tun?
Literatur:
von der Lippe, Elena, et al. „Prevalence of back and neck pain in Germany. Results from the BURDEN 2020 Burden of Disease Study.“ Journal of Health Monitoring 6.Suppl 3 (2021): 2.
Ryan, Cormac G., et al. „We Are All in This Together—Whole of Community Pain Science Education Campaigns to Promote Better Management of Persistent Pain.“ The Journal of Pain Vol. 25, No. 4 (2024): 902-917
Mitchell, Ulrike H., et al. „Long-term running in middle-aged men and intervertebral disc health, a cross-sectional pilot study.“ PLoS One 15.2 (2020): e0229457.
Deutsche Schmerzgesellschaft e.V., Was ist Schmerz? Patienteninformation