Neuropathische Schmerzen

Wenn Nerven schmerzen.
Schmerzen in Verbindung mit „Kribbeln und Brennen“.
Ein Beitrag von Dr. J. Mallwitz

Was sind Schmerzen?

Die internationale Schmerzgesellschaft (IASP) veröffentlichte 2020 eine neue Definition des Schmerzes:

„Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder möglichen Gewebeschädigung einhergeht oder einer solchen ähnelt”.

Eine Gewebeschädigung wird über Messfühler (Rezeptoren) vermittelt, anschließend über Nerven zum Rückenmark und dann weiter zum Gehirn geleitet. Im Gehirn wird diese Information zu einer individuellen Schmerzerfahrung verarbeitet.

Was sind nozizeptive Schmerzen?

Beim nozizeptiven Schmerz registrieren Mechano-, Chemo- und Thermo-Rezeptoren (Messfühler) in Gelenken, Muskeln und Bändern Veränderungen, z. B. durch eine Überlastung oder eine Entzündung.

Was sind neuropathische Schmerzen?

Beim neuropathischen Schmerz ist ein verletzter Nerv die Ursache, z. B. durch eine direkte mechanische oder eine toxische Schädigung. Hierzu gehören u. a. Nervenschäden (Neuropathie) durch eine Zucker- oder Alkoholkrankheit, nach einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung oder auch durch Viren wie bei der Gürtelrose.

Rückenschmerz: Häufig eine Mischung aus…

Rückenschmerzen sind komplex, haben viele Einflussfaktoren und sind häufig eine Mischung aus nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen.

Der neuropathische Schmerzanteil wird von den Patienten als brennend, einschießend, kribbelnd und elektrisierend empfunden und auch so beschrieben. Da das Schmerzempfinden und auch die Beschreibung der Schmerzen stark variieren, bedienen wir uns einiger Hilfsmittel, um eine Verdachtsdiagnose „neuropathischer Schmerzanteil“ zu untermauern.

Der PainDetect Fragebogen 

Im Rückenzentrum Am Michel setzen wir den PainDetect Fragebogen ein.
In diesem Fragebogen werden die Patienten gebeten, Angaben

  • zu ihrer Schmerzintensität,
  • der Schmerzcharakteristik,
  • der Schmerzlokalisation,
  • zum zeitlichen Verlauf der Schmerzen und
  • zu möglichen Empfindungsstörungen

zu machen. Die Antworten werden im Anschluss vom behandelnden Arzt ausgewertet. Der so ermittelte Score gibt Auskunft über die Wahrscheinlichkeit einer neuropathischen Schmerzkomponente und die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer medikamentösen Therapie.

Weitere Untersuchungen runden die Diagnose ab

Darüber hinaus wird die übliche orthopädische Untersuchung durchgeführt, die Nervenfunktion und Irritierbarkeit geprüft und bei Bedarf durch spezielle neurologische Untersuchungsverfahren erweitert, für die zu einem Facharzt für Neurologie überwiesen wird.

Ergänzend werden die Befunde mit den Röntgen- oder MRT-Bildern abgeglichen und so eine möglichst schlüssige Erklärung für die Schmerzsymptomatik des Patienten erarbeitet.

Die Ursache der neuropathischen Schmerzen

Liegt eine relevante und damit behandlungsbedürftige neuropathische Schmerzkomponente vor, so suchen wir nach einer Ursache, um nicht nur das Symptom, sondern möglichst auch den eigentlichen Verursacher oder Verstärker zu therapieren. Ein typisches Beispiel ist der Nervenschädigungsschmerz durch eine Zuckerkrankheit oder eine Alkoholkrankheit. In diesen Fällen muss unbedingt der Zuckerstoffwechsel sehr diszipliniert und genau eingestellt werden oder im zweiten Fall auf Alkohol gänzlich verzichtet werden, um eine weitere Schädigung zu vermeiden und mögliche Regenerationsprozesse nicht zu behindern.
Im Fall einer Nervenschädigung durch eine Chemotherapie oder  durch eine Verletzung im Bereich der Wirbelsäule, insbesondere, wenn die Schmerzen und die Missempfindungen schon lange bestehen, sprechen wir mit den Patienten auch über eine ergänzende medikamentöse Therapie. Die Medikamente helfen, die Schmerzintensität und das Ausmaß der Beeinträchtigung zu verringern.

Medikamente

Folgende Medikamente kommen bei neuropathischen Schmerzen in Betracht:

  • Antiepileptika/ Antikonvulsiva
  • Antidepressiva
  • Opioid-Analgetika/ Opioide
  • Capsaicin Pflaster und Lidocain Pflaster

Die üblichen Schmerzmedikamente für Rückenschmerzen wie Diclofenac oder Ibuprofen sind bei neuropathischen Schmerzen nicht wirksam.

Antiepileptika/ Antikonvulsiva:

Antiepileptika sind Medikamente, die zur Therapie epileptischer Anfälle entwickelt wurden. Sie wirken gut bei neuropathischen Schmerzen, da in beiden Fällen übererregbare Nervenzellen die Erklärung für das Beschwerdebild bieten und diese Empfindlichkeit durch die Medikamente wie z. B. Gabapentin oder Pregabalin gedämpft werden können.

Antidepressiva:

Antidepressiva sind Medikamente zur Behandlung einer Depression und haben einen festen Platz in der Therapie der neuropathischen Schmerzen. Sie führen zu einer guten Schmerzlinderung bei langanhaltenden Brennschmerzen. In erster Linie werden Amitriptylin und Doxepin eingesetzt.

Opioid-Analgetika/ Opioide:

Das bekannteste Medikament in dieser Gruppe ist Morphin. Es wirkt wie die chemischen Verwandten Opioide im Gehirn und im Rückenmark an Opioid-Rezeptoren. Dabei binden die Opioide an den Oberflächenrezeptoren der Nervenzellen und hemmen diese Zellen, wodurch die Erregbarkeit sinkt. Selbst starke und stärkste Schmerzen können so reduziert werden.

Capsaicin-Pflaster und Lidocain Pflaster:

Beide Pflaster werden lokal am Ort der größten Schmerzen aufgeklebt. Sie reduzieren den lokalen Schmerz durch Veränderungen an den Ionenkanälen der Rezeptoren in dieser Region. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder auch anderen Schmerzmedikamenten kommen nur selten vor, weil die Medikamente lokal aufgebracht werden.

Hilft Psychotherapie bei neuropathischen Schmerzen?

Da es sich meist um langanhaltende Beschwerden handelt, sollten auch die psychologischen Behandlungsverfahren sowohl in der Diagnostik, als auch in der Therapie Berücksichtigung finden.
Dazu zählt u. a. die Aufklärung über verstärkende psychologische Faktoren, Schmerzbewältigungseinheiten, Entspannungsverfahren, Biofeedback – jeweils verhaltenstherapeutisch angeleitet.

Hilft Physiotherapie bei neuropathischen Schmerzen?

Die Physiotherapie kann auf ein großes Spektrum therapeutischer Interventionen zurückgreifen und modulierend Einfluss nehmen. Dabei steht die Beeinträchtigung durch den Schmerz und die reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit mit erhöhter Empfindlichkeit im Vordergrund. Überwiegend aktive Behandlungsformen, angeleitet für eine eigenständige Behandlung auch zuhause, bilden den Schwerpunkt.

Fazit

Der Rückenschmerz und insbesondere der chronische Rückenschmerz bietet häufig eine neuropathische Schmerzkomponente. Diese gilt es zu identifizieren und gezielt zu behandeln. So kann eine weitere, anteilige Schmerzlinderung erzielt werden. Allerdings sollte keine isolierte medikamentöse Therapie erfolgen, sondern die Behandlung dieses Teilaspektes „neuropathische Schmerzkomponente“ immer in ein interdisziplinäres multimodales Therapiekonzept eingebunden werden.


Literatur:

Baron R et al, neuropathic low back pain in clinical practice, EJP 2016

Freyenhagen R et als, PainDetect Schmerzfragebogen, DGN 2005

Autor: Dr. Joachim Mallwitz

Facharzt für Orthopädie und Physiotherapeut. Leiter des Rückenzentrum Am Michel seit 2001.

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