Warum wir mehr Selbstwirksamkeit brauchen

Psychologen und Mediziner beschäftigen sich schon länger mit dem Thema Selbstwirksamkeit: Sie soll schließlich bei Depressionen, Ängsten und Schmerzen helfen. Unsere Diplom-Psychologin Catrin Schlegel hat der Zeitschrift FOGS*) ein Interview gegeben und darin erklärt, was genau dieser Begriff überhaupt bedeutet, ob man das Ganze lernen kann – und was Barack Obama und Nelson Mandela damit zu tun haben.

FOGS: Was genau ist Selbstwirksamkeit?

Catrin Schlegel: „Selbstwirksamkeit definiert sich als die Überzeugung einer Person, schwierige Situationen aus eigenen Kräften bewältigen zu können.“

Hat jeder gleich viel Selbstwirksamkeit?

„Sie ist unterschiedlich ausgeprägt, denn Selbstwirksamkeit hat viel mit Selbstvertrauen zu tun – und das kriegt man natürlich anfänglich vor allem über das Elternhaus mit. Ob ich mir zutraue, Situationen zu bewältigen und Dinge zu schaffen, das bekomme ich ja zunächst vor allem über meine Sozialisierung vermittelt. Menschen, die mit Selbstzweifeln groß geworden sind, haben meist eine nicht so ausgeprägte Selbstwirksamkeit.“

Wie äußert sich das dann im Leben?

„Jemand, der eine positive Erfolgserwartung hat und sich Dinge zutraut, ist in der Regel auch erfolgreicher. Er sucht berufliche Herausforderungen und probiert vieles im Leben aus, ist eigenständiger und schneller in der Lage, Probleme zu lösen. Er geht einfach mit mehr Selbstvertrauen durch sein Leben.“

Kann ich Selbstwirksamkeit lernen?

„Klar. Selbstwirksamkeit ist erlerntes Verhalten und kann jederzeit gelernt werden. Nehmen wir zum Beispiel die Raucherentwöhnung: Menschen wissen, dass Rauchen ungesund ist, trotzdem rauchen sie. Wenn man keine Überzeugung vermittelt bekommt, dass es gut ist, aufzuhören und dass man es schaffen kann, dann ist man auch nicht erfolgreich. Jede Mannschaft, jeder Profisportler hat mittlerweile einen Sportpsychologen, der dabei hilft, durchzuhalten und nicht aufzugeben – auch wenn man mal hinten liegt.“

Brauche ich einen Therapeuten oder kann ich meine Selbstwirksamkeit auch alleine verbessern?

„Das kommt darauf an, welches Ausmaß die erlernte Hilflosigkeit vorher angenommen hat. Manchmal hilft sicher auch ein Buch über Selbstwirksamkeit, um zu wissen, was das überhaupt ist. Oder es hilft, sich bewusst zu machen, wie man früher Probleme gelöst hat oder man sucht sich Aufgaben und guckt, ob man diese schafft.
Wenn die Hilflosigkeit oder der Schmerz jedoch zu groß sind, ist unsere Erfahrung im Rückenzentrum, dass Information, die von Profis vermittelt wird, am besten hilft. Selbstwirksamkeit ist hier der Schlüssel zum Therapieerfolg. Die meisten Patienten, die zu uns kommen, haben eine sehr lange Schmerzgeschichte hinter sich. Sie glauben nicht mehr, dass der Schmerz weg geht, egal, was sie tun. Wir vermitteln hier die Kontrolle über den Schmerz, die Botschaft, dass sie ihn mit eigenen Kräften bewältigen können.“

 

Catrin Schlegel ist Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin. Sie beschäftigt sich im Rahmen der Schmerzpsychotherapie im Rückenzentrum Am Michel in Hamburg jeden Tag mit dem Thema Selbstwirksamkeit.

Ist Selbstwirksamkeit immer positiv? Oder kann sie auch dazu führen, dass man alles selbst machen möchte?

„Die Grenzen zwischen Selbstwirksamkeit und Selbstüberschätzung können natürlich fließend sein. So lange Sie aber erfolgreich sind und sich mit dem, was Sie tun, gut fühlen, ist alles in Ordnung. Wenn sich aber jemand überschätzt und dadurch zum Beispiel im Beruf selbst überfordert, fühlt sich das nicht mehr gut an.“

Ist Zufriedenheit und Selbstwirksamkeit aneinander gekoppelt?

„Selbstwirksamkeit ist jetzt kein ausschließliches Kriterium um glücklich zu sein, dazu gehört natürlich mehr, psychosoziale Faktoren wie Freunde, Familie, Partnerschaft und Beruf. Aber natürlich ist Selbstwirksamkeit eng gekoppelt an einen guten Selbstwert. Und wenn Sie ein positives Selbstwertgefühl haben, dann laufen Sie weniger Gefahr im Leben unglücklich zu sein. Eins geht ohne das andere nicht. Natürlich kann einem jederzeit etwas Schlimmes passieren, aber es kommt eben darauf an, wie man damit umgeht. Menschen mit einem positiven Selbstwertgefühl verarbeiten Misserfolge oft anders, nicht im Bezug auf sich selbst und das eigene Versagen, sondern objektiver, sie können Fehler besser akzeptieren.“

Inwiefern haben andere einen Einfluss?

„Ganz ohne andere eine Selbstwirksamkeit zu entwickeln, wäre der Idealzustand. Das hieße aber auch, dass einem völlig egal ist, was andere denken und tun. Ich glaube, es ist immer eine Mischung. Selbstwirksamkeit wird unter anderem dadurch entwickelt, in welchen sozialen Kreisen man sich bewegt. Vorbilder spielen eine Rolle: Wenn man sich zum Beispiel Menschen nimmt, die etwas können und denkt, das kann ich auch. Das sind äußerliche Faktoren, die einen Einfluss auf das Innere haben. Ich glaube, ohne äußere Faktoren geht es gar nicht. Wir Menschen brauchen Wertschätzung wie das Essen und Trinken.“

Kann ich das Ganze auch im Crashkurs lernen?

„Das kommt auf das Ziel an: Wenn ich zum Beispiel eine Freundin habe, die mich tendenziell ausnutzt, dann kann man sich schon zum Ziel nehmen, zu ihr öfter Nein zu sagen. Wenn man sich solche Kleinigkeiten vornimmt, kann man die auch erreichen.

YES I CAN !

Jeder Sportkurs, den ich belege, ist eine Form von Selbstwirksamkeit. Alles, was ich mir vornehme und umsetze, stärkt mich.“ 

Kommen wir eigentlich selbstwirksam auf die Welt?

„Das Lernen beginnt sobald wir auf der Welt sind. Wenn Babys schreien und lernen, dass dann Mama kommt, ist das Schreien ein extrem selbstwirksames Verhalten. Alles, was für mich positive Konsequenzen hat, ist Selbstwirksamkeit. Die Frage ist nur, was ist bewusstes Verhalten. Man kann Kindern allerdings schon früh selbstwirksames Handeln beibringen, indem man ihnen zeigt, dass sie Dinge ausprobieren können. Wenn sie zum Beispiel Kopfschmerzen haben, kann man ihnen etwas geben, das ihre Stirn kühlt. So lernen die Kinder, dass sie selbst etwas ausprobieren und unternehmen können, damit es ihnen besser geht. Sie speichern das dann als Erfolg und als selbstwirksames Verhalten – und gehen vielleicht beim nächsten Mal selbst zum Kühlschrank.“

Ich muss also von etwas überzeugt sein, um es zu tun?

„Genau. Wenn für mich etwas plausibel ist, dann mache ich das auch. Ein Spezialist der Selbstwirksamkeit war Barack Obama mit seinem Slogan „YES WE CAN“, das ist für mich der Zaubersatz der Selbstwirksamkeit. Es gibt in der Geschichte 1000 Beispiele dafür, was Selbstwirksamkeit leisten kann. Columbus hat sein Leben riskiert und am Ende Amerika entdeckt, Nelson Mandela hat mehr als 25 Jahre in Haft gesessen und wurde danach Präsident. Warum? Weil sie von ihren Ideen überzeugt waren und ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit besaßen.“


*) Das Interview führte Tina Epking

Hier der Link zum Interview mit weiteren Tipps, veröffentlicht in der Zeitschrift BARBARA.

Autor: Carina Mallwitz

Redaktion Rückhalt I Der Blog vom Rückenzentrum

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