Schmerzen im Kiefergelenk? Ursachen und Therapie der CMD

Die Physiotherapeutin Anna Palisi verfügt über 11 Jahre Berufserfahrung und arbeitet seit 2017 im Rückenzentrum Am Michel. Sie lässt sich gerade zur CRAFTA-Therapeutin (Cranio Facial Therapy Academy) ausbilden und fasst hier den aktuellen Stand der Ursachen und der Therapie einer CMD zusammen:

CMD steht für craniomandibuläre Dysfunktion, bezeichnet also Symptome im Bereich des Kopfes (Cranium) und des Unterkiefers (Mandibula).

5 bis 12 Prozent der Bevölkerung sind von einer CMD betroffen [1], Frauen häufiger als Männer. Das Vorkommen der Erkrankung erreicht seinen Höhepunkt im Alter von 40 Jahren, danach nimmt es wieder ab [2].

Die Ursachen

Bei der Entwicklung einer CMD spielen viele Faktoren, die sich darüber hinaus auch gegenseitig beeinflussen können, eine Rolle:

  • Verletzungen in der Vorgeschichte (z.B. ein Schleudertrauma) [3],
  • die Zahnstellung,
  • muskuläres Ungleichgewicht
  • psycho-soziale Belastungsfaktoren, welche z.B. zu einem unbewussten Zusammenpressen der Zähne führen können [4],
  • ungünstige Gewohnheiten (z.B. exzessives Kaugummikauen) [3],
  • hormonelle Faktoren,
  • Systemerkrankungen wie Rheuma [5].

In der Regel ist ein gemeinsames Vorgehen von Orthopäden, Zahnärzten, ggf. Kieferorthopäden, Physiotherapeuten und Psychologen wichtig, um die Ursache und die beeinflussenden Faktoren herauszufinden.

Die Symptome
  • Schmerzen
  • Funktionseinschränkungen
  • Empfindungsstörungen
  • Geräusche

Die Patienten berichten z.B. von einer eingeschränkten Mundöffnung, Schluckbeschwerden, Schmerzen der Kaumuskulatur im Wangen- und Schläfenbereich, des Kiefergelenkes oder des Kopfes. Möglich sind auch Missempfindungen wie Taubheit der Zunge oder Engegefühl beim Atmen. Oft stellen Betroffene Knackgeräusche bei Kieferbewegungen fest (siehe unten: Kasten „Diskusverlagerungen“).
Teilweise werden Patienten von ihren Zahnärzten zur Physiotherapie geschickt, wenn ein Abrieb der Zahnsubstanz auf ein regelmäßiges Zähneknirschen hinweist.
Darüber hinaus können begleitende Symptome wie Kopfschmerzen, Ohrbeschwerden, Bewegungseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule und Haltungsveränderungen im Kopf- und Nackenbereich auftreten [6].

Die Untersuchung 

Der Physiotherapeut beurteilt nach der orthopädischen Untersuchung das Bewegungsausmaß und die Koordination des Unterkiefers, tastet die Muskulatur im Kiefer-, Kopf-, Hals- und Schulterbereich ab, testet auch die Funktion der Halswirbelsäule und die Beweglichkeit des Nervensystems. Unter Umständen führt ein auf CMD spezialisierter Zahnarzt noch zusätzlich eine instrumentelle Funktionsanalyse durch. Bei Bedarf wird auch ein Psychologe hinzugezogen.

Die Therapie

In der Physiotherapie kommen manualtherapeutische Maßnahmen und Übungen zur Verbesserung der Koordination des Kiefergelenkes sowie des funktionellen Zusammenspiels zwischen Kiefer, Halswirbelsäule und Schultergürtel zum Einsatz. Auch die Körperhaltung wird, wenn nötig, korrigiert [6]. Zur Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung ist es weiter sinnvoll, mithilfe eines Krafttrainings die aufrichtende Muskulatur der HWS und des Schultergürtels zu stärken [7, 8].
Oft erhalten Patienten von ihrem Zahnarzt Aufbissschienen, um die Zähne zu schützen und die Kaumuskulatur und die Kiefergelenke zu entlasten.

Sehr wichtig sind auch Verfahren zur Verhaltenstherapie, um andere Strategien zur Stressbewältigung zu erlernen, als sich „durchzubeißen“. Entspannungsverfahren, wie zum Beispiel Progressive Muskelentspannung, helfen, Spannung abzubauen und die Wahrnehmung für den eigenen Körper zu verbessern.
Auch das Thema Schlafhygiene ist wichtig, damit Betroffene entspannt in die Nachtruhe starten. Im Rückenzentrum Am Michel bietet die Psychologin Tanja Dörner ein Schlafseminar an.

Unser Fazit
Anna Palisi und weitere Kollegen behandeln im Rückenzentrum die Patienten mit Kopf-, Kiefer-, Nacken- und Gesichtsschmerzen.

CMD ist ein Sammelbegriff für Schmerzen und Funktionseinschränkungen im Bereich des Kopfes und des Kiefers. Bei der Suche nach den Ursachen spielen viele Faktoren eine Rolle. Die Therapie besteht aus manualtherapeutischer Behandlung, Übungen für den Kiefer- und Schulter-Nacken-Bereich, Patientenschulung zum Umgang mit Stress, Anspannung und Entspannung und allgemeinem Training zur Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit.

Weitere Informationen finden Sie auch auf unserer Homepage in der Rubrik Krankheitsbilder.
Besonderheit Halswirbelsäule

Die Halswirbelsäule (HWS), insbesondere der obere Abschnitt, ist mit dem Kiefer durch das Nervensystem eng verschaltet. Dadurch können Funktionsstörungen in der oberen HWS-Region bis in den Kieferbereich ausstrahlen [6]. Andererseits bestehen natürlich auch funktionelle und muskuläre Verbindungen, wodurch beispielsweise der Körperhaltung eine wichtige Rolle zukommt. Manche Patienten mit zu schwacher Muskulatur der HWS gleichen dieses Defizit über eine vermehrte Aktivierung der Kaumuskulatur aus. Hier kann die Physiotherapie mit speziellen Übungen ansetzen und das Bewegungsverhalten verbessern.

Unsere Empfehlung

Wenn Sie unter wiederkehrenden Kopfschmerzen leiden oder Ihre Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich durch eine Therapie nicht anhaltend beeinflussbar sind, sollten Sie auch den Kiefergelenkbereich untersuchen lassen.

Diskusverlagerung

Am Kiefergelenk befindet sich zwischen dem Schläfenbein (Os temporale) und dem Kiefergelenksköpfchen ein sogenannter Discus articularis, eine Knorpelscheibe, die sich bei der Mundöffnung leicht mitbewegt. Bewegen sich das Kieferköpfchen und der Diskus nicht synchron, kann es zu einer sogenannten Diskusverlagerung, in der Regel nach anterior (vorne) kommen, entweder mit Reposition (d.h. der Diskus gleitet während der Mundöffnung wieder über das Kieferköpfchen, oft als Knacken hörbar) oder ohne Reposition (der Diskus verbleibt vor dem Kieferköpfchen, oft ist die Mundöffnung dadurch eingeschränkt). Das Knacken ist zwar lästig, aber in der Regel ungefährlich.

Literatur:

[1] Schiffman E, et al. 2014. Diagnostic criteria for temporomandibular disorders (DC/TMD) for clinical and research applications: recommendations of the International RDC/TMD Consortium Network* and Orofacial Pain Special Interest Group†. J Oral Facial Pain Headache. 28, 1:6–27

[2] Kares, H. 2010. Kraniomandibuläre Dysfunktionen auf Grundlage der evidenzbasierten Zahnmedizin. ZWR  ̶  Das Deutsche Zahnärzteblatt 119, 3: 80–86

[3] Chisnoiu AM, et al. 2015.Factors involved in the etiology of temporomandibular disorders – a literature review.Clujul Med. 88, 4:473–8

[4] Manfredini D, et al. 2009. Role of psychosocial factors in the etiology of bruxism. J Orofac Pain. 23, 2:153–66

[5] Aceves-Avila FJ, et al. 2013. Temporomandibular joint dysfunction in various rheumatic diseases. Reumatismo. 65, 3:126–30

[6] Armijo-Olivo S, et al. 2016. Effectiveness of manual therapy and therapeutic exercise for temporomandibular disorders: systematic review and meta-analysis. Phys Ther. 96, 1:9–25

[7] Häggman-Henrikson B, et al. 2018. The effect of supervised exercise on localized TMD pain and TMD pain associated with generalized pain. Acta Odontol Scand. 76, 1:6–12

[8] Gil-Martínez A, et al. 2018. Management of pain in patients with temporomandibular disorder (TMD): challenges and solutions.J Pain Res. 16, 11:571–87

Autor: Anna Palisi

Die Physiotherapeutin Anna Palisi verfügt über 11 Jahre Berufserfahrung und arbeitet seit 2017 im Rückenzentrum Am Michel. Aktuell lässt sie sich zur CRAFTA-Therapeutin (Cranio Facial Therapy Academy) ausbilden.

9 Gedanken zu „Schmerzen im Kiefergelenk? Ursachen und Therapie der CMD“

  1. Liebe Frau Mallwitz, ein sehr interessanter und informativer Beitrag. Seit vielen Monaten habe ich diese von Ihnen geschilderten Symptome im Kiefernbereich und aufgrund Ihres Artikels kann ich die Schmerzen beim Kauen besser einordnen. Ich werde bei meiner Zahnärztin nochmals nachfragen ob sie mir einen Kiefernorthopäden nennen kann, der sich mit CMD auskennt und der oder die mich dann an das Rückenzentrum sprich Frau Palisi weiter verweisen kann. Da ich bisher im Rückenzentrum gute Erfahrungen gemacht habe, glaube ich, dort mich in guten Händen bezüglich meiner Schmerzen im Kiefernbereich zu wissen. Haben Sie sonst Einen Tipp für einen Kiefernorthopäden oder einen Zahnarzt, der sich mit diesen Problemen auskennt? Freue mich auf eine Antwort . Mit freundlichen Grüßen von U.W.

    1. Vielen Dank für Ihren freundlichen Kommentar. Über Ihr Lob freuen wir uns sehr. Er ist für uns Ansporn.
      Gern weise ich Sie auf Dr. Ahlers hin, ( https://www.cmd-centrum.de/ ), der ein Spezialist für CMD ist und mit dem wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten.

      Wir freuen uns auf ein Wiedersehen im Rückenzentrum.

      Bis dahin gute Besserung und viele Grüße vom Michel.

  2. Danke für die Informationen über Kiefergelenkknacken. Meine Mutter hatte früher schon Kiefergelenkknacken und ich habe das jetzt auch. Interessant, dass Kiefergelenkknacken auch hormonelle Ursachen haben kann!

  3. Danke für den Beitrag zu CMD. Gut zu wissen, dass mit CMD Kieferknacken gemeint ist. Sehr interessant, dass Kieferknacken auch psychologische Ursachen haben kann.

  4. Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen.

    1. Danke für Ihren Kommentar. Wir freuen uns sehr, wenn wir mit unseren Beiträgen Ihr Interesse wecken konnten und Sie unserem Blog weiter folgen.
      Viele Grüße aus dem Rückenzentrum.

  5. Danke für den aufschlussreichen Artikel
    Ich habe die Diagnose cmd ganz neu, ich bin Ende dreißig und habe seit 20 Jahren Schmerzen im Nacken- Schulter- und Rückenbereich. Nach zig Jahren Physiotherapie usw. habe ich die Orthopädin gewechselt und diese hat mich, insbesondere auf Grund meines exzessiven Knirschens zum Kieferorthopäden verwiesen. Dieser hat eine Funktionsanalyse gemacht und ist sich ziemlich sicher, dass er mir durch Korrektur des (ziemlich falschen Bisses) helfen kann. Das würde ein bis zwei Jahre über Zahnspangen laufen. Ich war sogar noch bei einem zweiten Kieferorthopäden, weil ich es kaum glauben konnte. Der sagte im Prinzip das Selbe. Bin nun endlich mal wieder etwas hoffnungsvoll

  6. Ein Bekannter von mir hat einen leichten Überbiss. Daher war es wirklich interessant, zu erfahren, dass auch hormonelle Faktoren der Grund dafür sein können. Ich werde ihm empfehlen, einen Zahnarzt aufzusuchen, der ihm weitere Beratung geben kann.

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