Was tun bei Rückenschmerzen?

Diese Frage stellen sich viele. Am Anfang hilft es vor allem, aktiv zu bleiben und den Rücken zu bewegen. Wer allerdings schon lange unter seinem Rücken leidet, dem sei gesagt, es gibt einen Weg aus dem Schmerz: Die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie.

Was ist nur los, was ist passiert…?

Diese wohlbekannte Zeile eines Liedes ist sicherlich passend für das Dilemma der Versorgung von Kreuzschmerzen in Deutschland (und auch anderen Ländern, denn es handelt sich um ein globales Problem!).

Es ist so einiges los beim Thema Kreuzschmerz – OBWOHL kontinuierlich das Versorgungsangebot, mit dem Rückenschmerzen vorgebeugt oder aber behandelt werden sollen, optimiert wird:
Neu entwickelte Matratzen, wahnsinnig gute Schuhe, Kopfkissen, Behandlungstechniken wie elastische Tapes und neue „super“ Trainingsgeräte, verbesserte Medikamente und neue Operationstechniken!

In der Summe hat dies aber niemals dazu beigetragen, dass das Vorkommen von Beschwerden im Bereich des Rückens in der allgemeinen Bevölkerung weniger wird. Ganz im Gegenteil.
Aktuell verursacht Rückenschmerz, insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule, mehr Kosten als jedes andere Krankheitsbild wie z.B. Krebs, Übergewicht und Diabetes Mellitus.

Treten Rückenschmerzen auf, dann wird sich dieser meistens rückläufig verhalten und wieder vergehen.

Es ist statistisch belegt, dass Rückenschmerzen meistens schnell rückläufig sind und wieder vergehen. Und dass sogar ohne Behandlung!

Sie haben mich gerade noch rechtzeitig gerufen. Noch 2 Tage länger und Sie wären von selbst wieder gesund geworden.

Trotzdem werden bei einem nicht unerheblichen Anteil der Betroffenen die Beschwerden fortbestehen und individuell betrachtet zu eingeschränkter Lebensqualität und Behinderung führen.
Gesellschaftlich betrachtet entstehen hohe Kosten durch die Versorgung des Problems, reduzierte Produktivität am Arbeitsplatz und Kosten durch Arbeitsausfall.

Anteile der 10 wichtigsten Krankheitsarten an den AU-Tagen.
Warum leiden manche Menschen langanhaltend unter Rückenschmerzen?

Die Frage, warum die Schmerzen bei so vielen Menschen anhalten, so dass wir heute von einer Epidemie von Kreuzschmerz sprechen, ist nicht abschließend geklärt. Belastung bei der Arbeit, Rauchen, Übergewicht, zu wenig Bewegung oder Genetik sind mögliche Gründe, die sicherlich mit zur weiten Verbreitung von Rückenschmerzen beitragen.

Ein Punkt, der allerdings nur selten auf dem Radar erscheint, ist die Tatsache, dass wir in den westlichen Industrienationen eine Versorgungsblase (für Rückenleiden) gebildet haben, die eine massive Fehl- und Überversorgung darstellt. Es werden zu viele bildgebende Maßnahmen verordnet, zu viele passive Behandlungen durchgeführt, zu viel krankgeschrieben und viel zu häufig unnötig operiert.

Und wie verhält man sich „richtig”, wenn der Rücken schmerzt?

Treten z.B. Kreuzschmerzen zum ersten Mal bei einem Menschen auf, dann empfiehlt eine Leitlinie (Link zur Patientenleitlinie Rückenschmerz, PDF) die Untersuchung des Patienten, um ernsthafte Erkrankungen auszuschließen (diese sind im Bereich der Wirbelsäule sehr selten und stellen lediglich 1% aller Fälle dar!) oder um eine spezifische Ursache für die Beschwerden, z.B. eine typische Bandscheibenvorfallbedingte Symptomatik, zu erkennen.
Die freudige Botschaft ist, dass nur ein geringer Teil der Beschwerden tatsächlich eine spezifische Ursache haben und dass es nahezu bei allen Patienten mit Kreuzschmerzen keine klare Ursache für diese Beschwerden gibt.

Das ist harter Tobak – es existieren Schmerzen, ohne dass es eine klare, eindeutige, handfeste Struktur gibt, die diese Beschwerden begründet!

Wenn wir also Rückenschmerzen haben, dann ist dies meist unspezifischer Natur, völlig harmlos und, auch wenn es sich nicht so anfühlt, die Symptome werden sich von alleine wieder verflüchtigen. Wenn da nicht noch … „was ist passiert“  in der Ausgangsfrage stünde!

Wir wollen unbedingt wissen, warum es weh tut! Das hat Folgen.

Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir gerne wissen wollen, was mit uns los ist wenn etwas schmerzt. Das ist auch gut so.
Beim unspezifischen Kreuzschmerz sollte uns die freudige Botschaft „es ist nur ein Rückenschmerz und wird schon wieder“ wieder auf Spur bringen; tut es aber nicht, denn wir wollen es genauer wissen!
Also werden bildgebende Verfahren eingesetzt (was häufig nicht notwendig ist!), Spritzen gesetzt, Hände auf- und angelegt, waghalsiger Blödsinn erzählt „kein Wunder, dass Sie Schmerzen haben, so krumm wie Sie sind“, „in Ihrem Alter ist das normal“, „das ist der Verschleiß“, „bald sitzen Sie im Rollstuhl“, …. und so weiter.
Die meisten Leser haben die eine oder andere Falschaussage sicherlich auch schon von ihrem Arzt, Therapeuten oder in einem Internetbeitrag gehört. Wenn nicht, dann kennt man doch zumindest jemanden, dem schon was Dramatisches zum Thema Rücken erzählt wurde.

In den meisten Fällen sind Rückenschmerzen unspezifisch! 
Das heißt: Es gibt keine Hinweise auf eine gefährliche Ursache der Schmerzen, die besondere Maßnahmen erfordert.

Hier kommen wir zum entscheidenden Punkt:

Wenn wir einen unspezifischen Rückenschmerz haben, dann gibt es nicht DIE eine Therapie, bzw. DIE eine Ursache für die Beschwerden. Rückenschmerzen sind multifaktoriell d.h. es müssen mehr Bereiche berücksichtigt werden als nur die Bandscheibe, der Muskel oder das Gelenk. Es ist entscheidend, wie es dem Menschen mit den Symptomen – Angst, Sorge, Panik, Stress, soziale Sicherheit, Arbeitszufriedenheit, …, geht, denn das sind ebenfalls Faktoren, die mit zu einem Schmerzerlebnis (nicht nur im Bereich des Rückens!) beitragen. Einige dieser Faktoren werden erst ins „Leben gerufen“, wenn ein unschuldiger Patient Opfer einer Maximalversorgung wird und z.B. eine Bildgebung bekommt (z.B. ein MRT), eine Spritze, eine Krankschreibung für die nächsten 2 Wochen und die Empfehlung, bloß in den nächsten Wochen aufzupassen, um nichts weiter kaputt zu machen. Hieraus resultiert, dass das Schmerzerlebnis getriggert wird und der Schmerz eher erhalten bleibt als bei einer geringeren Versorgung.

Nicht vergessen –

… die Schmerzen resultieren aus uns bislang nicht eindeutig bekannten Gründen, aber NICHT weil etwas kaputt ist.

Ein Rücken mit unspezifischen Schmerzen mag keinen Stillstand!

Ganz im Gegenteil. Der Rücken, der schmerzt und wofür es keine klare Ursache gibt (ca. 95% aller Rückenbeschwerden), darf zwar eine kurze Pause bekommen, aber definitiv nicht lange, denn der Rücken will belastet und bewegt werden und wird sich dann am ehesten schnell erholen.
Erholen wird sich dieser ebenfalls schneller, wenn gute und konstruktive Informationen an den Patienten vermittelt werden und weniger weitreichende Untersuchungen, sowie nicht Unmengen an Behandlungen appliziert werden. Der Rücken ist eine stabile und belastbare Struktur und ist dies auch, wenn Symptome bestehen, die nicht auf einen strukturellen Schaden zurückzuführen sind – und das ist fast immer der Fall.

Was ist nur los – was ist passiert… beim Rückenschmerz in Deutschland?!

Neben der beschriebenen Überversorgung soll auch das Thema Fehlversorgung nicht unerwähnt bleiben.

In der bereits erwähnten Leitlinie (s.o.), die den Versorgern im Gesundheitswesen als Entscheidungsgrundlage dienen soll, steht glücklicherweise auch, wie ein Rückenschmerz, der länger als sechs Wochen besteht, behandelt werden sollte.

Die Empfehlung lautet, (insbesondere dann wenn andere Therapieversuche gescheitert sind!) die Patienten einer modernen, leitlinienkonformen, interdisziplinären, multimodalen Schmerztherapie zuzuführen. (Link zu einem früheren Beitrag, der sich mit der multimodalen Therapieform beschäftigt.) Bei dieser Behandlungsform ziehen alle Disziplinen an einem Strang und die Patienten lernen ihre Schmerzen und die erhaltenen Faktoren zu bewältigen.

Noch nie davon gehört?
Gibt es denn genügend Angebote für die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie und wird sie regelhaft verordnet?

Ein klares NEIN! (Man könnte denken, die Leitlinie ist für einen anderen Planeten verfasst worden.)

Erkundigen Sie sich bitte trotzdem in jedem Fall nach der Möglichkeit, eine interdisziplinäre, multimodale Schmerztherapie zu machen, wenn Sie unter anhaltenden Beschwerden leiden. Eine solche Therapie macht Freude (denn Sie sind nicht alleine!), sie macht Sinn (die Wissenschaft belegt das!) und sie macht zu guter Letzt, dass Sie Ihre Beschwerden bewältigen lernen. (Hierzu finden Sie weitere Informationen auf unserer Homepage.)

Fazit

Wir werden alle mal Rückenschmerzen erleben, in den meisten Fällen ist dies aber kein Grund zur Sorge. Sollten die Beschwerden anhalten und sich kein Hinweis auf eine spezifische Ursache zeigen, dann ist die Therapie der Wahl eine interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie.


Für ein spannendes Hörerlebnis „hören“ Sie auch den Podcast: Smarter leben unter dem folgenden Link, der dieses Thema nochmals ausführlich aufgreift:

https://www.spiegel.de/gesundheit/rueckenschmerzen-warum-bewegung-und-psyche-wichtig-sind-a-de72f142-bd04-44e8-b138-e28fe503c28d

Autor: Dr. rer. medic. Michael Richter

Seit 2007 im Rückenzentrum Am Michel und bis 2021 fachlicher Leiter der Physiotherapie. Derzeit Vertretungsprofessor für das Lehrgebiet Physiotherapie an der Fachhochschule in Münster.

Ein Gedanke zu „Was tun bei Rückenschmerzen?“

  1. Herzlichen Dank für Ihren Artikel rund ums Thema multimodale Schmerztherapie. Meine Mutter leidet seit einiger Zeit unter chronischen Schmerzen im Rückenbereich und ist auf der Suche nach einer Lösung. Ich werde ihr sagen, dass die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie empfohlen wird, falls die Beschwerden anhalten und sich kein Hinweis auf eine spezifische Ursache zeigen sollte.

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