Schmerzen: Fluch oder Segen?

von Michael Richter

Zu allererst…,

Schmerzen sind meist etwas vollkommen Normales.

Wir kennen sie alle, die „alltäglichen“ Schmerzen: z.B. von Insektenstichen, durch Fehlhaltungen bedingte Verspannungen (z.B. bei Bildschirmarbeit über einen längeren Zeitraum), Verstauchungen oder Schürfwunden etc. Das Gehirn erkennt hier eine potenzielle Gefahr und Bedrohung und leitet unverzüglich heilungsfördernde Maßnahmen ein. Eine dieser Maßnahmen ist das unangenehme Gefühl Schmerz, welches insbesondere dafür sorgt, dass wir den betroffenen Bereich schonen und somit Heilung stattfinden kann.
Das Empfinden von Schmerz ist sinnvoll, denn dieses Warnsystem bringt uns dazu, die schmerzauslösende Situation zu meiden, so beispielsweise eine andere Sitzposition vor dem Computer einzunehmen, um den verspannten Nacken zu entlasten.

Schmerzzustände können folglich sehr unkompliziert sein, d.h. keine ernsthafte Ursache haben und „einfach“ wieder vergehen; das Gewebe repariert sich von allein, ohne besondere Schäden zu hinterlassen.

In diesem Fall sprechen wir von einem akuten Schmerz.

Betrachtet man die Schmerzentstehung und damit die schmerzauslösenden Signale, stellt man fest, dass sie stets individuell sind. Es spielt also bei jeder Person u.a.

  • ihr Umfeld
  • die jeweiligen Umstände
  • das Wissen über Schmerz und
  • die bisherigen Erfahrungen mit Schmerz

eine wesentliche Rolle bei der Intensität des Schmerzempfindens, das daher auch nicht unbedingt im direkten Verhältnis zum Ausmaß der Gewebeschädigung stehen muss.

Um wirksam mit Schmerzen umgehen zu können, ist es wichtig, neben dem körperlich empfundenen Schmerz auch den „emotionalen Schmerz“ zu kennen und zu behandeln.

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So kann z.B. ein verstauchter Knöchel eine durchaus schmerzhafte und lästige Angelegenheit sein, die nach einiger Zeit wieder abgeklungen und vergessen ist, von einem Profi-Tänzer aber wird dieser Schmerz wahrscheinlich intensiver und unangenehmer empfunden, weil dieses Ereignis für seinen Lebensunterhalt und die berufliche Existenz, bzw. die Karriere u.U. weitreichende Folgen hat.

Was ist Schmerz?

Schmerz ist eine im Zentralnervensystem generierte Antwort auf Signale aus dem gesamten Körper, unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Informationen, die wir im Leben gesammelt haben.

Schmerz ist somit eine unangenehme Sinneswahrnehmung.
Das Gehirn kann jedoch lernen, dass eine bestimmte potentielle Bedrohung als nicht relevant eingestuft wird.
Beispielsweise können sich Fakire ein Schwert durch die Zunge stecken und dabei jede Form der Schmerzempfindung unterdrücken. Ein Fakir kennt keinen Schmerz? Irrtum, aber er beherrscht die Schmerzwahrnehmung perfekt. Er hat durch ein gezieltes Training gelernt, den Schmerz zu kontrollieren. Oder aus Berichten von Kriegsveteranen ist bekannt, dass die Betroffenen, selbst bei schweren Verletzungen, bis zu dem Zeitpunkt keine oder nur stark verminderte Schmerzen empfanden, an dem sie ihre Situation realisierten. Dominiert zu allererst, wie im Fall des Soldaten, der Überlebenstrieb, wird der Schmerz erst dann zugelassen, wenn sich die Person in Sicherheit weiß.

Für Extremsituationen oder bei ernsten Verletzungen stellt der Körper selbst die stärksten Schmerzmittel zur Verfügung. Das Gehirn schüttet dann z.B. Endorphin und Adrenalin aus, welche temporär die Antwort des Gehirns auf Schadensmeldung abschwächen oder vollständig hemmen.

An diesen Beispielen wird klar, dass es übergeordnete Bereiche im Gehirn gibt (Schmerz verarbeitende Areale), die auf die Alarmmeldungen aus dem Körper situativ angemessen reagieren, bis hin zur Unterdrückung des Schmerzes.

Diese Erkenntnisse werden auch bei der Behandlung von Rückenschmerzen genutzt, indem der Patient genauestens über „seinen“ Schmerz aufgeklärt wird. Zu wissen und zu verstehen, welchen komplexen Mechanismen Schmerzwahrnehmung unterliegt, reduziert die häufig mit Schmerzen verbundenen Gefühle wie Angst, Ohnmacht und Niedergeschlagenheit.

So sind Rückenschmerzen, die den Patienten noch nicht länger als 6 Wochen beeinträchtigen, etwas vollkommen normales und treffen jeden von uns einmal im Leben. Sich dieses bewusst zu machen und angemessen zu reagieren, lässt den Schmerz weniger bedrohlich erscheinen und bald wieder zurückgehen.

Was bedeutet „angemessen zu reagieren“:
  • Versuchen Sie herauszufinden, welche Faktoren zu Ihrem Kreuzschmerz geführt haben.
  • Ändern Sie diese Situation möglichst umgehend.
  • Warten Sie nicht ab, dass sich von allein etwas ändert. Beginnen Sie sofort damit, den Schmerz zu entkräften. Er soll sich gar nicht erst in Ihr Gedächtnis einprägen.
  • Sofern Sie es noch nicht tun, bewegen Sie sich so viel es geht. Gehen Sie spazieren, machen Sie Gymnastik.
  • Ruhe und Inaktivität verschlimmern den Schmerz. Werden Sie aktiv.
  • Loten Sie Ihre Schmerzgrenze aus. Wenn Sie der Schmerz zu sehr einschränkt und von Bewegungen abhält, können Sie ggf. und in ärztlicher Absprache ein leichtes Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac nehmen.
  • Auch wenn Sie es sich im Moment nicht vorstellen können, Bewegung ist das beste Gegenmittel bei Rückenschmerzen.
  • Bewahren Sie sich eine positive Einstellung. Machen Sie weiterhin Pläne.
  • Lernen Sie den Schmerz zu verstehen, dann werden Sie gelassener.
  • Beugen Sie einer neuen Schmerzepisode vor, indem Sie regelmäßige Sporteinheiten in Ihren Wochenplan einbauen.

Lesen Sie hier in Kürze einen weiteren Artikel über chronische Schmerzen.

Autor: Dr. rer. medic. Michael Richter

Seit 2007 im Rückenzentrum Am Michel und bis 2021 fachlicher Leiter der Physiotherapie. Derzeit Vertretungsprofessor für das Lehrgebiet Physiotherapie an der Fachhochschule in Münster.

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